Veröffentlicht: 13.08.2020
Geht es um häusliche Gewalt, sind die Rollen meist fix verteilt: Mann = Täter, Frau = Opfer. Eine verkürzte und einseitige Sicht, die für betroffene Männer oft verheerend ist. Sieglinde Kliemen beleuchtet das Thema aus unterschiedlicher Sicht und zeigt Lösungsansätze auf.
Häusliche Gewalt umfasst Vieles, das nur schwer oder gar nicht beweisbar ist – eine Herausforderung für Betroffenen. Für männliche Opfer kommt erschwerend hinzu: Ihnen wird oft nicht geglaubt – steht Aussage gegen Aussage, gilt die Frau als glaubwürdiger.
Häusliche Gewalt gegen Männer basiert seltener auf körperlicher Gewalt, die Spuren hinterlässt. Viel häufiger als Kratzen, Beissen oder Schlagen erleiden Männer psychische Gewalt wie Nötigung, Mobbing, Unterbinden der Kindesbeziehung, Schlafentzug … «Psychische Gewalt ist nicht messbar», sagt die ausgebildete systemische Beraterin, «aber sie tut sehr weh.» Und treibt manchmal in den Suizid.
Fehlendes Angebot für betroffene Männer
Sieglinde Kliemen arbeitet als selbständige systemische Beraterin. Weil Angebote für männliche Opfer häuslicher Gewalt fehlen, hat sie 2017 das Männer- und Väterhaus in Bern ins Leben gerufen: Hier finden jährlich 15–20 Männer einen Ort der Ruhe, des Verständnisses und der Unterstützung.
«Männer kommen oft im letzten Moment, – sie fühlen sich als Versager, schämen sich», weiss Sieglinde Kliemen. Väter haben zudem oft grosse Angst, den Kontakt zu den Kindern zu verlieren, wenn sie ausziehen. Auch kinderlose Männer harren oft aus: wegen emotionaler Abhängigkeit oder aus Beschützerinstinkt. Aussagekräftige Zahlen fehlen indes: auch eine Folge der einseitigen Opfer/Täter-Sicht.
Das ganze System behandeln
«In vielen Fällen hat die Partnerin eine psychiatrische Diagnose», weiss Sieglinde Kliemen. Sie ist überzeugt: Beide sind Opfer und Täter – deshalb muss man beide, je nach Situation sogar die gesamte Familie behandeln. Denn sonst vererbt sich die Gewalt an die jüngere Generation.